
„Die wichtigste Zeit im Seminar ist die Zeit nach dem Seminar!“ sagt der erfahrene deutsche Trainer Ralf Besser*.
Doch was nützt es, wenn die Teilnehmenden im Seminarfeedback Bestnoten verteilen, das Arbeitsumfeld für Veränderungen aber nicht bereit ist? Und schliesslich am Arbeitsplatz keine oder kaum Veränderungen zu beobachten sind?
Wie geht es Ihnen, wenn Sie kritischen Hinweise von Bildungsforschenden lesen, gemäss denen der grösste Teil der guten Vorsätze, im Seminar von den Teilnehmenden noch voller Überzeugung verkündet, nach kurzer Zeit im Alltag bereits wieder verblassen?**
Wie effektiv sind Seminare wirklich?
Die wirkungsvollsten Weiterbildungen sind Impulse zur Veränderung, welche direkt in die Praxis hineinwirken. Durch meine langjährige Tätigkeit in der Erwachsenenbildung bin ich zur Überzeugung gelangt: oft ist anstelle eines klassischen Trainings eine Begleitung vor Ort wirkungsvoller. Erst wenn sich die Teilnehmenden sich mit ihren tatsächlichen Hindernissen und Herausforderungen in ihrem Arbeitskontext auseinandersetzen, lassen sich weitere Betroffene einbeziehen. So können neue, hilfreiche Absprachen stattfinden und konkrete Vereinbarungen getroffen werden. Durch eine Begleitung vor Ort können gemeinsame Erlebnisse auch besser integriert, am Arbeitsplatz geankert, in den vertrauten Kontext übertragen und später leichter erinnert werden.
Eigentlich ist alles ganz einfach: Es geht bei dieser neuen und zukunftsgerichteten Art des transferorientierten Lernens darum, möglichst viele individuelle und relevante Lernerfahrungen vor Ort zu ermöglichen. Dafür braucht es Fachleute, welche die Lernprozesse konzipieren und begleiten. Und Auftraggebende und Teilnehmende, die interessiert sind, die Trainingswirksamkeit in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen zu setzen.
Doch leider zwingen die Rahmenbedingungen in den Firmen und Organisationen noch viel zu oft zu klassischem Seminarbetrieb. Statt um Lernerfolg geht es darum, ein Programm abzuspulen und minimale Absenzen am Arbeitsplatz zu generieren. Der Transferprozess bleibt ungesteuert und dem Zufall überlassen – der Transfererfolg bleibt aus.
Auch wenn es im Kern stets um diese zwei Fragen geht …
- wie werden Weiterbildungsvorhaben in die bestehenden Prozesse im Betrieb integriert
- welche wichtige Rolle sind Vorgesetzte und Teammitglieder bereit zu übernehmen, damit Veränderung und damit Nachhaltigkeit möglich wird, beschreiben die eingangs erwähnten Autoren, wie zum Beispiel Ralph Besser in seinem Buch Methoden und Übungen, die den Transfer hauptsächlich in Seminaren sicherstellen. Obwohl er und wir alle eigentlich davon überzeugt sind, dass es überzeugendere Veränderungsstrategien und Konzepte gibt. Bei denen das Team, die Abteilung, die Bereichsleitung, die Personalentwicklung und letztlich die ganze Firma involviert sind
… stehen die wenigen Autoren und Trainer, die sich –so wie ich – dem Thema „Transferwirksamkeit“ verschrieben haben, vor einem Dilemma:
Idealerweise würden Mitarbeitende über eine gut ausgebaute Praxisbegleitung, ein Coaching und eine persönliche Unterstützung in Veränderungsprozessen verfügen. Doch die Realität sieht, wie oben angedeutet, oft ganz anders aus.
Was Fachleute für transferwirksame Trainings dazu sagen
Anna Langheiter, eine erfahrene Trainerin aus Österreich, bringt es auf den Punkt:
„Viele Trainer, die sich als transferorientiert bezeichnen, sind es nicht. Denn die einzig wahre Transferorientierung zeigt sich erst nach dem Seminar.“
(Interview mit Dr. Ina Weinbauer-Heide vom 4.4.18).
Doch was meinen wir überhaupt mit Transferwirksamkeit? Trainerkollegen und Dozierende geben ungefähr diese Definitionen:
- Transfer ist das, was vom Kurz- in das Langzeitgedächtnis und dann in das Verhalten geht.
- Transfer ist das das, was von dem, was ich als Input gebe, umgesetzt wird.
- Gelerntes in einer Situation, in den Alltag integrieren und anpassen.
- Die Praxis in das Seminar holen.
- Die Realisierung der Zielsetzung.
- Impulse geben; Mut machen, dass die Teilnehmenden etwas umsetzen.
- Transfer bedeutet, das Gelernte praktisch umzusetzen.
- Etwas rüberbringen.
- Beantwortung der Frage: Was nehme ich mit und was setze ich um?
Es geht folglich um Methoden, welche die persönliche innere Klärung der Teilnehmer und die Klärung des Kontextes zum Inhalt haben. Die Umsetzung in die Praxis bedingt auch die Eigenmotivation der Teilnehmer.
Die (transferorientierte) Haltung des Trainers, der Trainerin ist wichtig.

Die Transferorientierte Haltung des Trainer und der Trainierin sind wichtig
Es ist wichtig, wach und radikal den eigenen Stil und die gerne verwendeten Methoden, sowie die persönliche Art zu trainieren zu hinterfragen, im Hinblick auf erfolgreichen Transfer. Hilfreich kann es hier sein, aus der Sichtweise eines Teilnehmers, die Wirksamkeit eines Seminars kritisch zu beurteilen.
Gutes Motto: „Was hilft, ist genau das Richtige!“ Manchmal ist es ein Vortrag, manchmal eine selbständige Aufgabe, manchmal eine Gruppenübung, ein anderes Mal eine persönliche Klärung.
„Die besondere Herausforderung beim Thema Transfer ist, dass Firmen, Trainer und die Teilnehmer selbst sich häufig Ihrer Rolle beim Transfer nicht bewusst sind. Transfer kostet Zeit und Geld und braucht vor allem einen Change im Mindset!„
Anna Langheiter, im Interview mit Dr. Ina Weinbauer-Heidel am 4.4.18
Fazit: Für Trainer, Dozierende und Kursleitende lohnt es sich, möglichst viele Stellhebel der „Transferwirksamkeit“ zu kennen. Lehrende werden damit zu einem „Sparring- und Entwicklungspartner für ihre Auftraggeber. Sie können diese darauf hinweisen, worauf es ankommt und wer in den Lernprozess einbezogen werden muss, damit ein Lernerfolg erzielt wird. ***
Lehrende, die so sprechen und handeln, machen deutlich: die Transferverantwortung liegt nicht allein beim „Alleskönner“, der als Trainer oder Dozentin vor der Gruppe steht. Sondern die Teilnehmenden müssen auch ihren Beitrag (Transverantwortung) leisten, ebenso wie die Organisation und damit die Vorgesetzten. Idealerweise haben.
Damit wechselt in einem solchen Kontext die Rolle von Lehrpersonen: Statt als Dozentin oder Dozent geht es darum, sich als Beraterin oder Partner für lehrreiche, transferwirksame Bildungsangebote zu engagieren. Mit passenden Instrumenten, Massnahmen und Interventionen im Repertoire.
Was bedeutet dies alles für mich? Welche Gedanken begleiten mich, wie gehe ich als Trainer konkret vor?
- Bei meinen offenen Seminaren bedeutet Transferwirksamkeit: Ich halte auch über das Seminar hinaus mit meinen Teilnehmenden Kontakt.
- Bei geschlossenen Seminaren heißt Transferorientierung für mich, den Auftraggeber dazu zu bewegen, den Transfer im Anschluss an das Training (z.B. durch ein ausführliches Auswertungs- und Massnahmengespräch) selbst zu begleiten.
- Am Ende liegt die Verantwortung bei der Auftraggeberin, den Beweis zu erbringen, den Transfer wirklich zu leben.
- In meinen Trainings stelle ich allerding die Weichen und gebe mein Bestes, das dies auch gelingt.
Konkrete Massnahmen vor dem Training
- Bei mir sind die Lernenden stets im Fokus und darum kläre ich bereits im Vorfeld, ob die Teilnehmenden tatsächlich Anwendungsmöglichkeiten für das Gelernte, beispielsweise in einem Projekt, erhalten.
- Manchmal hilft die provokative und direkte Frage: „Geht es bei dieser Weiterbildung nur um Spass oder soll die Anstrengung wirklich etwas bringen?
- Hilfreich ist das Schreiben von einem „persönlichen Vertrag“. Dabei werden die Teilnehmenden aufgefordert, ihre individuellen Lernziele und und Vorsätze zu formulieren. Oft spreche ich dann gleich von „Lerntransferzielen“, um klar zu machen: was zählt, ist die angestrebte und messbare Veränderung im beruflichen Kontext.
Konkrete Massnahmen während des Trainings
- Hilfreich kann auch eine eigens eingerichtete Transfer-App wie z.B. „Skill Hero“ sein. Diese erlauben es den Teilnehmenden auch nach dem Seminar mit der Kursleitung in Kontakt zu bleiben. Ihre Anwendung wird idealerweise bereits im Kurs eingefädelt, damit die Hemmschwelle, sich damit zu beschäftigen, möglichst klein ist.
- Durch die Vorbereitung von Tandemaufgaben, wird schon in der Lernphase der Transfer vorbereitet und geplant. Je zwei Lernende verabreden sich für die Zeit nach dem Kurs, um sich später, im eigenen beruflichen Umfeld, zu beobachten und beraten. Dies im Sinne einer fachlichen, aber auch sozialen Begleitung.
Konkrete Massnahmen nach den Trainings
- Bei der Methode „Feldarbeit“ geht es darum, dass Lernende die Chance erhalten, das Gelernte im Feld praktisch anzuwenden. Nach der Lehr- und Lernphase erhalten Teilnehmende einen Auftrag im „Feld“, d.h. in ihrer Praxis. Dieser kann wenige Stunden dauern, aber auch in Form eines längeren Praktikums erfolgen. Diese „Feldarbeit“ wird von der Lehrperson mehr oder weniger eng angeleitet und begleitet und später ausgewertet. Nachweise in Form eines Tagebuches oder ein Praktikumsbericht, können diese Reflexion unterstützen. Wichtig ist es, die Arbeit am Schluss mit konstruktiven Feedbacks zu würdigen.
Meine Erkenntnis aus der langjährigen Trainertätigkeit: gemeinsam mit Auftraggebenden und den Teilnehmenden definierte und vereinbarte Transferziele stellen sicher, dass für alle Transfer-Beteiligten klar ist, wo die Reise hingeht. Und was der Nutzen davon ist. Genau dies ist der Ausgangspunkt für ein transferwirksames Training.
Sind Sie interessiert, den Transfer bei Ihren Mitarbeitenden und Teilnehmenden zu fördern? Möchten Sie herausfinden, welche Stellhebel der Transferwirksamkeit für Ihre Situation angemessen und passend sind? Kontaktieren Sie mich, damit wir Ihr Anliegen besprechen können: yvo.wueest(at)education-minds.com
Ressourcen:
**Nur 10 bis 30% des im Training Gelernten wird tatsächlich gewinnbringend am Arbeitsplatz eingesetzt schätzen z.B. die beiden Forscher Baldwin T.T. & Ford, J.K. 1988 (siehe auch: Kauffeld, S.: Nachhaltige Weiterbildung. Betriebliche Seminare und Trainings entwickeln, Erfolge messen, Transfer sichern: Springer 2010).
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