Skip to content

07: Reduktion mit spitzer Feder – humor und didaktische Reduktion

    Das Kabarett ist eine besondere Form der Kleinkunst. Oft werden dabei unterschiedliche Ausdrucksformen –Szenen, Monologe, Dialoge, auch Gedichte und manchmal Musik, miteinander verbunden.

    Eine Abgrenzung zu Comedy und Stand-up-Comedy ist schwierig. Versuchen wir es so: Im Kabarett interessiert die zugespitzte Kritik an Politik und Gesellschaft. Comedy und Stand-up-Comedy hingegen, zeigen das komische Ringen von Einzelnen mit einem zunehmend komplexeren Alltag.

    Bei Kabarett, Comedy und Stand-up-Comedy beobachten wir Stilelemente wie Satire und Parodie, oft auch Sarkasmus und Ironie. Die Künstlerinnen und Künstler, die sich in einer oder mehreren dieser Disziplinen bewegen, brauchen vor allem eines: den Mut, konsequent und einfach zu sein.

    Ich geniesse alle die oben erwähnten Spielformen. Vom Grossmeister Josef Hader aus Österreich bis Chris Rock aus den USA. Besonders interessiert mich die Logik, die dahintersteckt. Darum las ich diese Tage erneut das Buch „Sick in the Head – Conversations About Life and Comedy“.

    Judd Apatow, Autor von “Sick in the Head” (2015) und zusammen mit Lesley Arfin, and Paul Rust Drehbuchautor der Netflixserie “Love” (2016)

    Wir können das Buch als eine Art Metareflexion über humorrvolle Unterhaltungen verstehen. Zusammengetragen und geschrieben von Judd Apatow, ein us-amerikanischer Filmemacher, Drehbuchautor und Filmproduzent. Im Buch finden sich rund 40 Interviews aus den letzten dreissig Jahren mit Landsleuten, die sich auf Comedy spezialisierten.

    Ich nehme es gleich vornweg: viele Texte ärgern mich, denn seine Gesprächspartner*innen simulieren mit pseudoexistenzialistischen Spässchen Klugheit. Und transportieren doch nur flache Kalauer und Vulgarismen. Eine kritischere Haltung Apatows den interviewten „Grössen“ gebenüber, hätte dem Buch gutgetan.

    « Wenn du einem sieben Bälle zuspielst, fängt er keinen. Spielst du ihm nur einen zu, hat er ihn bestimmt. »

    Nadine Borter, Werbetexterin Agentur Contexta

    Immerhin realisierte ich bald: wer glaubt, die Arbeit mache diesen Komiker*innen vor allem Spass, irrt sich prächtig. Der Spass macht vor allem Arbeit. Dann auch, neben der zündenden Schreiberei, die Herausforderung, vor richtigem Publikum bestehen zu können. Vor Menschen mit einem anderen Zugang zu Humor, einem anderen „Groove“ dem Leben gegenüber oder einfach anderen Erwartungen an Unterhaltungskunst.

    Ich merkte schliesslich: es gibt bei der Satire, beim Humor, egal ob im Kabarett oder bei Stand-up-Comedy Verbindungen zu „Didaktische Reduktion“. Denn Komik ist stets auch ein Spiel mit Auslassungen. Immer geht es darum, aus einer Vielfalt auszuwählen. Kernbotschaften zu entwickeln. Komplexe Sachverhalte so aufbereiten, damit sie ansprechend und „eingängig“, manchmal auch zugespitzt, bei einem bestimmten Publikum ankommen.

    « I’dont know if comedians know how to work an audience anymore. »

    Chris Rock im Interview mit Judd Apatow, S. 66

    Noch anspruchsvoller ist diese Aufgabe vermutlich für Karikaturist*innen. Mit wenigen Strichen und einzelnen Worten, müssen sie zu Rande kommen. Meister der Verkürzung sind für mich die Duos Greser&Lenz, sowie Hauck&Bauer, die in der TITANIC, im Spiegel Online, aber auch in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung publizieren. Die Letztgenannten erzählen in einem Interview im Deutschlandfunk über ihren kooperativen und reduktiven Schaffensprozess.

    Während Bühnenkünstler viel Zeit für den Aufbau ihrer Geschichte brauchen und diese schrittweise oder unerwartet zur Pointe führen, müssen Zeichnerinnen und Zeichner ihre Botschaft in nur einem oder in ganz wenigen Bildern transportieren. Genial, wenn es ihnen gelingt, fast ohne Worte und Text -nur mit rasch hingeworfenen Strichen- ein Schmunzeln oder Lachen bei den Betrachtenden hervorzuzaubern.

    Hauck & Bauer, Krautreporter, 22.10.14

    Humor in der Erwachsenenbildung einsetzen

    Wer bis hierher gelesen hat, versteht mein Dilemma: auch mir als als Trainer und Fachbuchautor für Didaktische Reduktion, fällt es schwer, das Phänomen in einfachen Worten zu umreissen. Dabei schrieb ich diesen Sommer ein ganzes Kapitel zu “Humor in der Erwachsenenbildung im Kontext der Didaktischen Reduktion”, welches im neuen Fachbuch “Mini-Handbuch Didaktische Reduktion” (Beltz Februar 2022) zu finden ist.

    Im Kapitel “Komplexitätsreduktion” führe ich unter dem Titel “Mit Humor zu einer positiven Lernatmosphäre beitragen” Beispiele auf, wie uns eine humorvolle Haltung den Zugang zu Menschen und komplexen Themen vereinfachen kann:

    “Humor ist eine genuin menschliche Fähigkeit und kann in der Lehre und Erwachsenenbildung, aber auch im Coaching – im Prinzip während des ganzen Lebens – geübt, verfeinert und kultiviert werden. Vielleicht lassen sich solcherart geförderte und unterstützte Lerneffekte nicht präzise messen und evaluieren. Doch nach meiner Erfahrung unterstützt Humor eine wirksame Lern- und Gesprächsatmosphäre. Ohne »lachende Vernunft« wäre unsere Welt definitiv ärmer. Für mich ist die Pflege von Humor in Lernsituationen Ausdruck der Freude am Leben. Ein Lehr- oder Lebensverständnis, das »ganzheitlich« ist und die das Auge und das Ohr für die Komik des Alltags trainiert. Und einen intellektuellen Genuss an der Auflösung der uns umgebenden Widersprüche und Unzulänglichkeiten verspürt, an Überraschungen, an intelligenten Pointen.”

    Auszug aus “Mini-Handbuch Didaktische Reduktion”, Yvo Wüest, Beltz 2022, Seite 62

    Humor und Resilienz

    Körperlich kann sich eine humorvolle Lebenseinstellung übrigens in Form einer Reduktion von Stresshormonen auswirken. Aus der Psychologie gibt es Hinweise, dass Humor unsere Fähigkeit, mit Belastungssituationen umzugehen, stärkt. Gemeinsames Lachen fördert den Zusammenhalt und hilft, Konflikte zu entschärfen.

    « Denn Satire, wenn man sie nicht so eng fasst wie das Kabarett oder sich ihr im Wunsch nach rein unterhaltsamer Ablenkung nicht verweigert wie die Comedy, kann so viel mehr sein. So viel mehr, dass vielleicht Satire längst nicht mehr der richtige Begriff dafür ist. Nur mehr ein Hilfswort, um juristische Auseinandersetzungen aushalten zu können. Ein inhaltlich eher störendes Codewort für „Hier dürfen wir alles. »

    Tim Wolff, Chefredakteur TITANIC, 1.9.16 Nitro

    Wer in der Erwachsenenbildung und im Training die Entfaltung der Teilnehmenden unterstützen will, so meine Erfahrung, wird sich an den neuen Fallbeispielen und Hinweisen im Fachbuch erfreuen, da sie ihm in der Praxis Unterstützung bei der Auswahl und Aufbereitung von Stoff und komplexen Inhalten bieten können.

    Ressourcen:

    Neues Fachbuch “Mini-Handbuch Didaktische Reduktion”, Beltz Verlag 2022

    Zweites Fachbuch “Auf den Punkt – didaktisch reduziert lehren und präsentieren, Spektramedia 2017

    Kommentar

    Your email address will not be published. Required fields are marked *