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09: Warum psychologische Sicherheit und aufrichtige Kommunikation die Grundlage für gelingende Lernprozesse im Team sind.

    In diesem Beitrag stelle ich Dr. Joachim Maier, Berater für Team-, Führungs- und Organisationsentwicklungsprojekte am IAP Institut für Angewandte Psychologie, Fragen zu dem von ihm erforschten und propagierten Gruppen-Klima-Konzept zur «Psychologischen Sicherheit».

    Frage: Joachim, beim Konzept der «Psychologischen Sicherheit» geht es um die Frage, wie es uns in der modernen Führungsarbeit gelingt, Teams sicherer und erfolgreicher zu machen. Warum gewinnt das Thema «Psychologische Sicherheit» im Kontext Führung und Team zunehmend an Relevanz?

    Mit einem evidenzbasierten Ansatz hat Google vor fünf Jahren 200 Teams durchgemessen und zahllose Interviews geführt, um das Alleinstellungsmerkmal von gut performenden Teams zu finden. Das Fazit: Die Teamzusammensetzung – Wer miteinander unterwegs ist – spielt eine deutlich geringere Rolle als traditionell angenommen. Um die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Teams vorherzusagen, spielt die Art und Weise, das «Wie im Team zusammengearbeitet wird», eine erheblich grössere Rolle.

    Frage: Gibt es einen bestimmten Faktor, der bei dieser Analyse der 200 Google Teams besonders überraschte?

    Ja, ein Faktor stach besonders hervor. «Psychologische Sicherheit» erscheint in der Google-Studie als der tragfähigste Prädiktor gelingender Zusammenarbeit. Google das Fundament gelingender Zusammenarbeit anhand zweier Faktoren erfasst hat. Die Bausteine für psychologisch sichere Teams sind aus Sicht von Google: Erstens eine mindestens durchschnittlich ausgeprägte soziale Sensibilität. Zweitens gleichmässig ausgeprägten Redeanteile aller Teammitglieder. Wobei es aus wissenschaftlicher Sicht auch ein Manko gibt, denn der Originaldatensatz wurde bisher nicht veröffentlicht. 

    Frage: Kannst du diese beiden relevanten Faktoren etwas genauer ausführen?

    Faktor 1 Durchschnittlich ausgeprägte soziale Sensibilität meint, dass am Ende des Tages alle ungefähr gleich häufig zu Wort gekommen sind und gleich grosse Redeanteile erhalten haben. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Art und Weise, wie Redeanteile von einer zur nächsten Person übergeben werden. Sprich, ob man sich traut und sicher fühlt, sich überhaupt zu Wort zu melden. Oder ob die innere Zensurstimme die Oberhand gewinnt, basierend auf einem Glaubenssatz wie, «da sage ich lieber nichts, damit es mir nicht so ergeht wie der Kollegin letzte Woche, über die seither hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird».

    Bei Faktor 2, den gleichmässig ausgeprägten Redeanteilen aller Teammitglieder geht es darum, dass jeder im Team in der Lage und willens ist wahrzunehmen, wie es dem Gegenüber gerade geht. Dadurch kann jede/r in der Regel angemessen auf diese wahrgenommene Befindlichkeit reagieren. Neudeutsch würde man von der Fähigkeit zu einer Begegnung auf Augenhöhe sprechen.

    Frage: Welchen Einfluss haben diese zwei Faktoren auf die Zusammenarbeit in Team, oder zuerst einmal auf die im Team miteinander interagierenden Menschen?

    Je stärker die beiden Faktoren «soziale Sensibilität» und «gleichberechtigte Redeanteile» im Team ausgeprägt sind, umso stärker fühlt sich jede/r einzelne im Team wahr- und aufgenommen. Denn psychologische Sicherheit ist ein Gruppenklima-Konzept, zu dem jeder menschliche Beitrag zählt. Wer sich gesehen fühlt, wird eher Risiken in der Beziehungsgestaltung eingehen, das heisst, es «wagen» etwas zu sagen, vielleicht eine Unsicherheit auszusprechen oder die Möglichkeit eines sich abzeichnenden Kollateralschadens anzumerken. Offensichtlich sind solche riskanten Äusserungen für gelingende Lern- und Kreativitätsprozesse entscheidend.

    Wer solcherlei wagt, handelt aus der Sicherheit heraus, wahrgenommen zu werden und Raum zu erhalten. Kurz: Psychologische Sicherheit zeigt sich im «Dare to speak up». Teammitglieder gehen angstfrei Risiken in der Beziehungsgestaltung zu anderen ein – und zeigen sich dabei ohne Maske und in all’ ihrer Verletzlichkeit – ohne befürchten zu müssen, ausgeschlossen, be- oder verurteilt zu werden – dies ist eine klassische Psychologische-Sicherheits-Definition der Harvard Professorin Amy Edmondson.

    Frage: Versehe ich dich richtig, es geht bei diesem Ansatz darum, mehr Offenheit und gegenseitige Akzeptanz in einer Gruppe zu etablieren, als Ausgangslage und mit dem Ziel, dass die Beteiligten sich mutiger und authentischer einbringen?

    Ja, ganz genau. Im Englischen wird dies schön in der Aufforderung oder im Aufruf “Dare to speak” zusammengefasst. “Wage es zu auszusprechen, was du denkst oder fühlst!” Sicher ist auch: Das mit dem Wagnis einhergehende Risiko kann niemals gänzlich ausgeschlossen werden. Weil ein Teammitglied niemals vollständig sicher sein kann, dass das Team konstruktiv reagiert, wenn man Angst und Bedenken über Bord wirft und es wagt, in aller Aufrichtigkeit zu kommunizieren.

    Frage: Wie gelingt es Führungskräften und Teamverantwortlichen, die “psychologische Sicherheit” der Mitarbeitenden in einem Team zu stärken?

    Teams mit einer ausgeprägten psychologischen Sicherheit sehen sich in der Regel auch als Teams, die ihr Potenzial gut ausnutzen. Nach der Arbeit mit über 100 Teams, die ich bei der Reflexion und Verbesserung des Teamzusammenspiels hin zu mehr psychologischer Sicherheit begleiten durfte, kann ich den in der Google-Studie behauptete Zusammenhang zwischen Psychologischer Sicherheit und der Wahrnehmung, das Potenzial des Teams auszuschöpfen, bestätigen.

    Menschen verschiedenster Berufsgruppen und Hierarchiestufen verstehen schnell und intuitiv, was mit psychologischer Sicherheit gemeint ist, auch wenn sie zum Beispiel im Rahmen eines Teamentwicklungs-Workshops zum ersten Mal davon hören. Der unmittelbare Nutzen aufrichtiger Kommunikation für gelingende Lernprozesse ist naheliegend und lädt dazu ein, psychologische Sicherheit zum Kulturbestandteil zu machen.

    Frage: Hat sich in deiner Arbeit und Begleitung von Teams eine besondere Vorgehensweise bewährt?

    Für die Prozessbegleitung bietet sich psychologische Sicherheit als Gütekriterium an, um einen sicheren Begegnungsraum im Workshop zu eröffnen und bei Bedarf im Arbeitsalltag zu halten: Kommen alle gleichberechtigt zu Wort? Nehmen die Teilnehmenden aufeinander Bezug und sich gegenseitig wahr? Fühlt man sich sicher genug, um zu zeigen, was sich hinter manchmal starren Masken aus Rollenerwartung und eingespielten Konflikt-Vermeidungsmechanismen regt? Gelingt es während der Entschlüsselung der Teamdynamik nachvollziehbar zu machen, welche Spannungsmomente im Aufeinandertreffen verschiedener Bedürfnisse wirken?

    Wenn man das Moderieren von Spannungen zugespitzt als Primäraufgabe gelingender Führung verstehen könnte, dann wäre das Eröffnen von Lernräumen, in denen das Moderieren von Spannungen eingeübt werden kann, eine Primäraufgabe prozessorientierter Entwicklungs- und Lernbegleitung. In der Prozessarbeit ist für mich immer wieder faszinierend, wie das Mass an unterschiedlichen Wahrnehmungen wirkt. Praktisch jedes Teammitglied hat, wenn die Masken fallen, eine ganz eigene Sensibilität und einen eigenen Blick auf die im Team wirkenden Kräfte. Diese Unterschiedlichkeit stiftet in einem psychologisch sicheren, sozialen Raum das Fundament gelingender Team- und Lernprozesse.

    Frage: Gibt es eine bestimmte Vorgehensweise oder Fragen, die du gerne in deinen Trainings und Begleitungen von Teamentwicklungen anwendest?

    Zu einer systematischen Reflexion und Verbesserung der Dynamik im Team hin zu mehr psychologischer Sicherheit haben sich folgende Fragen in der Praxis bewährt:

    • Wie gut nutzt ihr das Team-Potenzial auf einer Skala von 1 (low performing) bis 99 (high performing) aus?
    • Welche Kraftquelle gibt dir ganz persönlich in diesem Team am meisten Energie?
    • Was kostet dichganz persönlich in diesem Team am meisten Energie?
    • Was ist deinBeitrag zu den Kraftquellen und Energiefressern im Team? Wie beurteilen die anderen Teammitglieder deinen Beitrag?
    • Wie steht es um eurepsychologische Sicherheit? Was ist der Beitrag jedes Teammitglieds zur psychologischen Sicherheit?

    Diese Fragen bilden auch die Ausgangspunkte der von mir entwickelten und frei verfügbaren Open Source Challenge die Arche, mit der Teams im Self-Service oder mit professioneller Begleitung ihre psychologische Sicherheit pflegen können.

    Lieber Joachim, ich danke dir für dieses aufschlussreiche Gespräch!

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