Diversitätssensibilität in der Erwachsenen- und Betrieblichen Bildung
Erwachsenenbildung und betriebliche Bildungsarbeit sind wichtige Säulen des “Lebenslangen Lernens” und stehen vor der Herausforderung, zunehmend vielfältigere und heterogenere Lerngruppen adäquat zu begleiten. Wie kann dies in einem von wachsender Vielfalt geprägten Kontext gelingen? Dieser Beitrag geht dieser Frage nach und stellt die Hypothese auf: Durch eine konsequente diversitätssensible Didaktik und Kursgestaltung.

Der bunte Teppich der Lerngruppen: Vielfalt als Chance und Herausforderung
Lerngruppen in der Erwachsenenbildung spiegeln die pluralistische Gesellschaft wider: Sie sind heterogen, plural und vielfältig. Obwohl Diversität vielfältige Lern- und Austauschmöglichkeiten bietet, wird sie in der didaktischen Theoriebildung und Praxis derzeit nicht immer ausreichend berücksichtigt. Um einer diversitätssensiblen Erwachsenenbildung gerecht zu werden, muss die Heterogenität von Gruppen sowohl konzeptionell als auch in der Umsetzung reflektiert und integriert werden.
Definition von “Diversitätssensibler Erwachsenenbildung”
“Diversitätsbewusstsein in der Erwachsenenbildung” bezieht sich auf das Bewusstsein und die Anerkennung der Vielfalt an Hintergründen, Fähigkeiten, Erfahrungen und Bedürfnissen der Lernenden. Sie umfasst die Fähigkeit des Bildungspersonals, die Unterschiede zwischen den Teilnehmenden wahrzunehmen, wertzuschätzen und in der didaktischen Planung und Umsetzung zu berücksichtigen, um ein inklusives und gerechtes Lernumfeld zu schaffen. Es geht darum, Dimensionen wie Alter, Geschlecht, Kultur, Migrationserfahrung, Sprache, Bildungsniveau und viele andere zu berücksichtigen und aktiv in die Gestaltung des Lehr-/Lernprozesses einzubeziehen, um allen Beteiligten eine gleichberechtigte Teilhabe und Entfaltungsmöglichkeit zu ermöglichen.
Die vielen Facetten der Diversität: Verknüpfungen sichtbar machen
Um Diversität sichtbar und nutzbar zu machen, ist ein Blick auf differenzierende Struktur- und Deutungskategorien, wie Generation, Gender, Milieu und Bildung, hilfreich. Ein konsequentes Weiterdenken einer erwachsenengerechten Didaktik ermöglicht es, Diversität nicht nur individualisiert, sondern auch im Gruppenkontext sichtbar und verstehbar zu machen. Einige Bildungsfachleute bringen hier den Begriff “intersektionale Didaktik” ein. Er kann dazu beitragen, die Überschneidungen und Wechselwirkungen verschiedener Differenzkategorien in den Blick zu nehmen und damit eine ganzheitliche Betrachtung von Lerngruppen zu ermöglichen.
Struktur im Kursraum: Ordnung und Regeln in diversen Gruppen
Auch das Kursmanagement in der Erwachsenenbildung sollte künftig auch den Faktor der Diversität berücksichtigen. Heterogene Lerngruppen, die sich überwiegend aus freiwillig teilnehmenden Individuen zusammensetzen, erfordern gewisse Ordnungs- und Regelstrukturen. Hier kann auf das Konzept der pädagogischen „Disziplinierung“ reflektiert werden, die nicht als starres Regelwerk, sondern vielmehr als Rahmen zur Gestaltung eines gemeinsamen Lernsettings und zur Herstellung eines von Verbindlichkeit verstanden wird.

Classroom Management: Ein Blick in die Schulpädagogik
Interessant ist auch der aus der Schulpädagogik stammende Begriff des Classroom-Managements. Dieser wurde bisher in der Erwachsenenbildung aufgrund der Betonung der Eigenverantwortung der Teilnehmenden als weniger relevant angesehen. In einer zunehmend diversen Bildungslandschaft erscheint es jedoch unerlässlich, auch in der Erwachsenenbildung ein diversitätssensibles Kursmanagement zu entwickeln und anzuwenden.
Was bedeutet dies: Classroom Management?
Classroom Management bezieht sich auf die Techniken und Strategien, mit denen Lehrende den Unterrichts- oder Lernraum und die Lernumgebung organisieren und steuern, um effektives Lernen zu fördern. Bei der Übertragung dieses Konzepts auf eine diversitätssensible Erwachsenenbildung berücksichtigen wir spezifische Aspekte dieser Zielgruppe, wobei das Prinzip des Managements der Lernumgebung jedoch ähnlich bleibt.
- Einrichtung des Lernraums:
Classroom Management beinhaltet auch die physische Gestaltung des Lernraums. In der diversitätssensiblen Erwachsenenbildung kann dies bedeuten, den Raum so zu gestalten, dass er zur Interaktion und zum Austausch zwischen den Lernenden einlädt. Dabei spielen Aspekte wie die Sitzordnung, die Zugänglichkeit von Materialien und der Einsatz von technischen Hilfsmitteln eine Rolle. - Strukturierung von Lernzeit:
Effizientes Management beinhaltet auch die Planung und Nutzung der verfügbaren Zeit. Im Kontext der Erwachsenenbildung kann dies die Strukturierung von Sitzungen, ausreichende Pausen und aktive Arbeitsphasen beinhalten, um die Konzentration und das Engagement der Lernenden zu maximieren. - Schaffung einer positiven Lernatmosphäre:
Ein sicheres und unterstützendes Lernumfeld zu schaffen, in dem sich jeder wertgeschätzt und respektiert fühlt, ist von grundlegender Bedeutung. In der Erwachsenenbildung bedeutet dies gegenseitigen Respekt und Wertschätzung zwischen Lehrenden und Lernenden sowie unter den Lernenden selbst. - Klare Regeln und Erwartungen:
Obwohl Erwachsene in der Regel als eigenverantwortlich und selbstgesteuert gelten, profitieren auch sie von klaren Regeln und Erwartungen, die eine störungsfreie Lernumgebung unterstützen. Dabei geht es nicht um strenge Disziplin, sondern um Orientierung und Sicherheit. - Differenzierung und Individualisierung:
Aufgrund der Heterogenität in Lerngruppen der Erwachsenenbildung ist es relevant, individuelle Bedürfnisse und Voraussetzungen zu erkennen und darauf einzugehen. Classroom Management bedeutet auch, unterschiedliche Lernwege und -geschwindigkeiten zu akzeptieren und zu unterstützen. - Kommunikation und Interaktion:
Die Förderung effektiver Kommunikation und positiver Interaktion im Kurs ist ebenfalls Teil des Classroom Managements. Dazu gehören Kommunikationsregeln, Feedbackmethoden und interaktive Lehr- und Lernformate. - Konfliktmanagement:
In einer Lernumgebung mit erwachsenen Teilnehmenden können unterschiedliche Meinungen und Perspektiven aufeinandertreffen. Ein gutes Classroom Management beinhaltet daher auch Strategien zur Lösung von Konflikten und zur Aufrechterhaltung eines konstruktiven Miteinanders. - Nutzung digitaler Tools:
Insbesondere in hybriden oder digitalen Lernumgebungen umfasst das Classroom Management auch die Auswahl und Implementierung digitaler Tools und Plattformen, um den Lernprozess effektiv zu unterstützen.
Das Klassenraummanagement in der Erwachsenenbildung muss daher verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden und gleichzeitig eine Struktur bieten, die das Lernen unterstützt, ohne die Autonomie und Eigenverantwortung der erwachsenen Lernenden einzuschränken. Dies erfordert ein sorgfältiges Abwägen und Anpassen von Strategien, um eine Umgebung zu schaffen, die sowohl strukturiert als auch flexibel, unterstützend und herausfordernd ist.

Gemeinsam Verantwortung tragen: Demokratie im Lernsetting leben
Schlussendlich geht es auch um die gemeinschaftliche Ausgestaltung des Lernens und um das Aushandeln und Einhalten von gemeinsam geteilten Bedingungs- und Beteiligungsstrukturen. Hierbei wird auch ein „Demokratie im Kleinen“-Ansatz erlebbar, der Partizipation und Mitgestaltung ermöglicht und so die Prinzipien der Erwachsenenbildung unterstreicht.
Darüber hinaus beinhaltet ein diversitätsorientierter Ansatz erwachsenengerechter Didaktik zwangsläufig auch die proaktive Berücksichtigung gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Denn solche umfassenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse führen immer auch zu veränderten Lern- und Lebenswelten für Erwachsene, indem sie neue Herausforderungen und Chancen für das Lebenslange Lernen schaffen.
In der Verzahnung von Theorie und Praxis, von strukturellen Vorgaben und individuellen Freiräumen sowie im bewussten und sensiblen Umgang mit der Vielfalt der Lernenden liegt die Zukunft einer effektiven, partizipativen und inklusiven Erwachsenen- und betrieblichen Bildung. Trainer, Erwachsenenbildner und Ausbilder sind dabei Schlüsselakteure, die durch eine diversitätssensible Didaktik und Kursgestaltung einen wesentlichen Beitrag leisten können.
Ressourcen:
-Podcastepisode Nr. 74 Prof. Dr. Gundula Gwenn Hiller: Interkulturelle Kompetenz und Diversität als Chance.
-Podcastepisode Nr. 49 Lavdije Zidi – Person und Bildung in der Schule
-Perko, G. & Czollek, Leah C. (2008). Gender und Diversity gerechte Didaktik: ein intersektionaler Ansatz. Magazin erwachsenenbildung.at (3), 25 S. https://doi.org/10.25656/01:7588
-Herrle, M. (2013). Classroom Management jenseits des Schulunterrichts. Mikroethnografische Analysen zur Ablaufsteuerung in Veranstaltungen der Erwachsenen- und Weiterbildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16 (3), 377–392. https://doi.org/10.1007/s11618-013-0376-2
-von Hippel, A., Kulmus, C. & Stimm, M. (2022). Didaktik der Erwachsenen- und Weiterbildung (2. Aufl.). UTB. https://doi.org/10.36198/9783838559568
Schlüter, A. & Berkels, B. (2012). Erwachsenenbildung, Gender und Didaktik. In M. Kampshoff & C. Wiepcke (Hrsg.), Handbuch Geschlechterforschung und Fachdidaktik (S. 429–441). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18984-0_31